Interview mit Prof. Dietmar Walberg

Ana Kuschmierz: Herr Prof. Walberg, Sie sind einer der führenden Experten für nachhaltigen Wohnungsbau und Transformation im Gebäudebestand. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, vor denen der Wohnungssektor aktuell steht?
Prof. Dietmar Walberg: Die Herausforderungen sind vielschichtig. Zum einen haben wir eine enorme Wohnungsknappheit, zum anderen stehen wir vor der dringenden Notwendigkeit, den Gebäudesektor klimafreundlicher zu gestalten. Bezahlbares Wohnen und Klimaschutz dürfen kein Widerspruch sein. Die bisherige Fokussierung auf immer höhere Effizienzstandards hat nicht den gewünschten Effekt erzielt – im Gegenteil: Sie verteuert Bau- und Sanierungsmaßnahmen erheblich und belastet sowohl Eigentümer als auch Mieter. Wir müssen den Paradigmenwechsel hin zu einer CO2-orientierten Sanierungsstrategie schaffen, die bezahlbar und wirksam ist.
Ana Kuschmierz: In diesem Zusammenhang sind Sie Mitinitiator der Initiative „Praxispfad CO₂-Reduktion im Gebäudesektor“. Was ist die Kernbotschaft dieser Initiative?
Prof. Dietmar Walberg: Die zentrale Botschaft ist, dass wir einen realistischen, praxisnahen Weg zur Klimaneutralität im Gebäudesektor brauchen. Statt nur auf immer strengere Dämmvorgaben zu setzen, müssen wir uns darauf konzentrieren, die Emissionen insgesamt zu senken – das heißt, auf eine emissionsfreie Wärmeversorgung, maßvolle Sanierungen und eine gezielte Förderung von Wärmepumpen und erneuerbaren Energien. Wir setzen uns dafür ein, dass politische Förderungen und regulatorische Vorgaben auf CO2-Reduktion ausgerichtet werden und nicht auf einzelne technische Maßnahmen.
Ana Kuschmierz: Diese Themen werden auch auf dem Baukongress CONBAU Nord diskutiert, der in diesem Jahr am 10. und 11. September 2025 zum zweiten Mal stattfinden wird. Sie sind Mitinitiator des Formats und Ideengeber. Welche Bedeutung hat der Kongress für die Branche?
Prof. Dietmar Walberg: Die CONBAU Nord ist ein einzigartiger Treffpunkt für alle, die sich mit der Transformation des Bau- und Wohnungssektors beschäftigen. Sie bringt Fachleute aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zusammen, um gemeinsam an praxisnahen Lösungen zu arbeiten. Besonders wichtig ist mir der interdisziplinäre Ansatz: Wir müssen verschiedene Akteure an einen Tisch bringen, um den Wandel erfolgreich zu gestalten. Die erste Veranstaltung hat gezeigt, wie wertvoll dieser Austausch ist – von Best-Practice-Beispielen aus Skandinavien bis hin zu neuen Denkansätzen für nachhaltige Bauweisen. 2025 wird es noch mehr Raum für vertiefende Diskussionen und innovative Lösungsansätze geben. Ich freue mich darauf, wieder dabei zu sein und mitzugestalten.
Ana Kuschmierz: Sie sprechen von einem Kurswechsel in der Gebäudepolitik. Wie könnte dieser konkret aussehen?
Prof. Dietmar Walberg: Wir brauchen ein neues Steuerungsinstrument – einen klaren Emissionsminderungspfad. Statt unzähliger Einzelvorschriften, die den Markt komplizierter und teurer machen, sollte es eine übergeordnete Zielsetzung geben: Wie viel CO₂ darf ein Gebäude über seine gesamte Lebensdauer hinweg ausstoßen? Dies würde eine flexiblere Umsetzung ermöglichen und Sanierungsmaßnahmen wirtschaftlicher gestalten. Gleichzeitig müssen wir Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung viel stärker in den Fokus rücken – Bestandserhalt und Wiederverwendung von Baumaterialien sind zentrale Stellschrauben für eine nachhaltige Bauwirtschaft.
Ana Kuschmierz: Welche Rolle spielt die Baukultur und der soziale Aspekt in diesem Transformationsprozess?
Prof. Dietmar Walberg: Eine sehr große! Transformation bedeutet nicht nur technologische Veränderung, sondern auch soziale und kulturelle Anpassung. In der Baukulturwerkstatt „Wohnen neu denken!“ diskutieren wir genau diese Themen: Wie können wir Wohnen in der Zukunft nachhaltiger, sozial verträglicher und ressourcenschonender gestalten? Es geht um gemeinwohlorientierte Wohnformen, Quartierslösungen und eine stärkere Beteiligung der Bürger. Der soziale Faktor muss in der Transformation des Wohnungsbaus mitgedacht werden, damit der Wandel für alle tragbar bleibt.
Ana Kuschmierz: Was muss jetzt konkret geschehen, um die Transformation des Gebäudesektors erfolgreich umzusetzen?
Prof. Dietmar Walberg: Wir brauchen eine konsequente politische Neuausrichtung mit klaren, realistischen Zielen. Fördermittel müssen gezielt dort eingesetzt werden, wo sie die größte CO2-Einsparung bringen. Die Wohnungswirtschaft muss stärker in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden, und es braucht ein gesellschaftliches Umdenken, weg von der reinen Effizienzorientierung hin zu einem ganzheitlichen Konzept für nachhaltiges Wohnen. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, um die Weichen richtig zu stellen.
Ana Kuschmierz: Herr Prof. Walberg, vielen Dank für das Gespräch!
CONBAU Nord 2025