Interview mit Nastassja Hofmann: Digitale Zwillinge richtig nutzen

Nastassja Hofmann, Bitkom e. V.
Digitale Zwillinge gelten als große Chance für die Bau- und Immobilienwirtschaft. Warum tun sich viele in der Praxis noch so schwer damit?
 
Nastassja Hofmann: Die Komplexität solcher Projekte kann schnell überfordernd wirken. Digitale Zwillinge sind keine Softwarelösung „von der Stange“, sondern erfordern ein systemisches Zusammenspiel aus Modellierung, Sensorik, Datenpflege und Anwendungsintegration. Viele Akteure scheitern daran, diese Komponenten in der Praxis zusammenzuführen – sei es aus Zeit-, Budget- oder Know-how-Gründen.
 
Zudem fehlen häufig die Voraussetzungen im Bestand: unvollständige Pläne, heterogene Gebäudestrukturen oder nicht vernetzte Systeme verhindern die Nutzung digitaler Modelle. Gerade bei Bestandsimmobilien ist der initiale Aufwand hoch – doch langfristig zahlt sich die Investition aus.
 
Ein weiterer Faktor ist die mangelnde Standardisierung. Unterschiedliche Formate, unklare Zuständigkeiten und fehlende gesetzliche Rahmenbedingungen sorgen für Unsicherheit. Digitalisierung braucht Vertrauen – und das entsteht durch verlässliche Prozesse und erprobte Standards.

Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit digitale Zwillinge im Bauwesen nicht Theorie bleiben, sondern echte Wirkung entfalten?
 
Nastassja Hofmann: Digitale Zwillinge können nur dann Wirkung entfalten, wenn sie konsequent über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg genutzt werden – von der Planung über den Bau bis in den Betrieb und Rückbau. Dafür braucht es vor allem eines: verbindliche Standards und offene Schnittstellen. Nur wenn Daten konsistent strukturiert und interoperabel sind, können verschiedene Systeme miteinander kommunizieren und Prozesse automatisieren.

Entscheidend ist auch die Integration in bestehende Planungs- und Steuerungsprozesse. Digitale Zwillinge dürfen kein paralleles Datensystem bleiben, sondern müssen Teil des realen Arbeitsalltags aller Beteiligten werden – also auch von Facility Managern, Energieberatern oder Quartiersentwicklern.

Ergänzend braucht es klare rechtliche Rahmenbedingungen, etwa zur Datennutzung und zur Anrechnung digitaler Maßnahmen bei Förderungen oder Umlagen. Der wahre Hebel liegt in der Verwertbarkeit der Daten: Digitale Zwillinge dürfen nicht nur als 3D-Modelle verstanden werden, sondern als dynamisches Abbild eines Gebäudes – mit Live-Daten, historischen Entwicklungen und Handlungsempfehlungen. So entsteht ein echter Mehrwert.

Wo sehen Sie aktuell die größten Potenziale – und vielleicht auch die größten Hürden?

Nastassja Hofmann: Die größten Potenziale liegen in der Verzahnung von Planung, Betrieb und Sanierung. Mit digitalen Modellen können Bauprojekte deutlich beschleunigt, Fehler vermieden und Kosten gesenkt werden. Wenn digitale Zwillinge frühzeitig angelegt und kontinuierlich gepflegt werden, helfen sie, Energieverbräuche zu optimieren, Instandhaltungszyklen zu planen und Investitionen datengestützt zu priorisieren. Auch für ESG-Berichtspflichten liefern sie eine valide Grundlage.  

Die größte Hürde sehe ich in der fragmentierten Akteurslandschaft. Unterschiedliche Zuständigkeiten, fehlende Datenkompetenz und heterogene IT-Systeme machen die durchgängige Nutzung schwierig. Zudem funktioniert ein digitaler Zwilling nur, wenn Architekten, Projektentwickler, Handwerker usw. auch damit arbeiten. Insbesondere im Bestand fehlen stellenweise auch noch die Investitionsanreize, weil Betriebs- und Implementierungskosten nicht umlagefähig sind.

Sie sprechen auf der CONBAU Nord über Digitalisierung im Kontext nachhaltigen Bauens. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Nastassja Hofmann: Mir ist wichtig, den Verbindungspunkt zwischen Technik und Verantwortung deutlich zu machen. Digitalisierung ist kein Garant für Nachhaltigkeit – aber sie ist ein mächtiges Werkzeug, um Ressourcen effizienter zu nutzen und Emissionen zu senken. Digitalisierung und Nachhaltigkeit sollten deshalb in jeder Unternehmensstrategie zusammen gedacht werden.  Wir stehen vor der großen Herausforderung, das Bauen zukünftig zyklisch zu betrachten und das Recycling der sogenannten „grauen Energie“ im Gebäudebestand schon beim Bau mitzudenken. Ohne digitale Werkzeuge wird das nicht gelingen – weder ökologisch noch ökonomisch. Digitalisierte Gebäudemodelle helfen uns, komplexe Zusammenhänge sichtbar zu machen: Wo entstehen Emissionen? Welche Materialien können recycelt werden? Wie verändert sich das Verhalten von Nutzenden?

Im Kontext nachhaltigen Bauens ist Digitalisierung außerdem ein wichtiger Transparenzmotor. Nur was gemessen und verstanden wird, kann verbessert werden – und zwar nicht punktuell, sondern systemisch.  

CONBAU Nord 2025

Tage
Std.
Min.
Sek.