INTERVIEW: Ina Krüger zum enormen Potenzial von Fassadenbegrünung

Ina Krüger, BuGG Bundesverband GebäudeGrün e. V.

Ina Krüger vom Bundesverband GebäudeGrün e. V. erklärt im Interview, warum Fassadenbegrünung mehr ist als ein gestalterisches Extra – und welche strategische Rolle sie für Unternehmen, Städte und die Wohnungswirtschaft spielt.

 

1. Frau Krüger, Sie beschäftigen sich intensiv mit Fassadenbegrünung. Warum lohnt sich gerade jetzt ein neuer Blick auf dieses Thema – auch aus unternehmerischer Perspektive?

Ina Krüger:
Super Frage! Allein zu diesem Thema könnte ich schon einen 5–10-minütigen Monolog halten. Fassadenbegrünung ist längst mehr als ein gestalterisches Extra – sie wird zum strategischen Baustein für klimaangepasstes Bauen bzw. eine klimaangepasste Stadtentwicklung. Unternehmen profitieren mehrfach: durch sinkende Energie- und Instandhaltungskosten (Begrünung als Dämmung und Schutz vor Witterungseinflüssen), durch die Schaffung essenziell notwendigen Lebensraums für Flora und Fauna sowie durch ein starkes Nachhaltigkeitsprofil (Außenwirkung des Unternehmens), das zunehmend auch für Investierende und Mietende entscheidend ist.



2. Viele Kommunen und Wohnungsunternehmen suchen derzeit nach konkreten Maßnahmen zur Klimaanpassung. Welche Funktionen kann Fassadenbegrünung in einem klimaresilienten Quartier übernehmen – über das „grüne Image“ hinaus?

Ina Krüger: Ökosysteme und Pflanzen erbringen Ökosystemleistungen, die für Menschen, Tiere und Pflanzen unverzichtbar sind. Dazu gehört die Verdunstung von Wasser, wodurch die Luftfeuchtigkeit erhöht und die Umgebungstemperatur gesenkt wird; die Produktion von Sauerstoff sowie die Bindung von Luftschadstoffen, wodurch die Luftqualität verbessert wird; die Förderung der Biodiversität. Abhängig vom System können Fassadenbegrünungen auch zur Abpufferung starker Regenfälle dienen – auch wenn der Beitrag zur Hochwasservorsorge durch Dachbegrünungen deutlich größer ist. Gleichzeitig steigern Pflanzen nachweislich die Gesundheit, das Wohlbefinden und auch die Konzentrationsfähigkeit der Menschen.

 

3. In Ihrer täglichen Arbeit beim BuGG beraten Sie zu Umsetzungsfragen: Was sind typische Herausforderungen – und wie lassen sich diese pragmatisch lösen?

Ina Krüger: Regelmäßige Stolpersteine sind zum einen Unsicherheiten bei der Planung, fehlende Erfahrungen mit geeigneten Systemen bzw. die falsche Auswahl der Kletterhilfe in Kombination mit der Pflanze oder Bedenken hinsichtlich der Pflege. Der finanzielle Aufwand wird ebenfalls regelmäßig genannt, obwohl dieser stark zwischen den verschiedenen Begrünungssystemen schwankt (eine bodengebundene Fassadenbegrünung ist um einiges günstiger als eine wandgebundene). Eines der häufigsten Argumente gegen eine Fassadenbegrünung ist die Angst vor „Ungeziefer“ im Inneren. Dabei bleiben die Tiere und Insekten lieber in ihrem Lebensraum – den Pflanzen. Zumal auch hier Insektenschutzgitter einen weiteren Schutz gegen die wenigen Tiere bieten, die sich ins Innere verirren. Unsere Erfahrung zeigt: Mit frühzeitiger Beratung und gewerkeübergreifenden Absprachen, einem auf das Gebäude und die Eigentümer:innen abgestimmten Begrünungssystem, passenden Förderprogrammen und einem realistischen Pflegekonzept lassen sich diese Hürden gut meistern – und eine langfristig vitale Begrünung realisieren.

 

4. Oft heißt es: Im Bestand sei Fassadenbegrünung schwer umsetzbar. Teilen Sie diese Einschätzung – oder gibt es gerade hier besonders große Potenziale?

Ina Krüger: Gerade im Bestand ist ein enorm hohes Potenzial vorhanden! Sie sprechen ein unglaublich wichtiges Thema an. Viele Gebäude bieten geeignete Flächen. Im Rahmen der jährlichen Veröffentlichung unseres Marktreports ermitteln wir, wie viele Gebäude mit Flachdächern neu gebaut wurden. Allein im Jahr 2023 sind ca. 60 Millionen m² Flachdachfläche entstanden (die Fläche der Fassaden ist dementsprechend noch größer). Davon wurde natürlich ein bestimmter Anteil begrünt – ca. 17 % davon haben eine Dachbegrünung erhalten, und ca. 130.400 m² Fassadenfläche wurden mit wandgebundener oder bodengebundener (mit Kletterhilfen) Begrünung ausgestattet (die Zahlen stammen aus unserem aktuellen Marktreport 2024). Dementsprechend ist der Großteil der neu entstandenen Gebäude weiterhin unbegrünt – ein extrem großes Potenzial in unseren stark versiegelten Städten. Und das sind nur die Zahlen für ein einziges Jahr. Mit modularen Begrünungssystemen oder (kostengünstigeren) bodengebundenen Kletterpflanzen lassen sich auch nachträglich wirkungsvolle Lösungen realisieren – oft mit geringem baulichen Aufwand. Je nach Pflanzenauswahl ist der Erfolg einer nachträglichen Begrünung auch bereits recht schnell sichtbar.

 

5. Sie sprechen bei der CONBAU Nord über funktionale Effekte wie Verdunstungskühlung oder Regenwasserrückhaltung. Was können unsere Teilnehmenden aus Ihrer Session für eigene Projekte konkret mitnehmen?

Ina Krüger: Wir werden über die Vorteile und die Ökosystemleistungen von Fassadenbegrünungen sprechen. Diese werde ich anhand von Praxisbeispielen verdeutlichen und erklären, wie sich die Effekte gezielt in die Planung und Umsetzung integrieren lassen. Wer kommt, nimmt konkrete Argumente und Werkzeuge für eigene Projekte mit.

 

6. Und zum Schluss: Wenn Sie Entscheiderinnen und Entscheidern aus der Bau- und Wohnungswirtschaft einen Satz mitgeben dürften – warum lohnt sich der Blick an die Fassade?

Ina Krüger: Der Blick an die Fassade lohnt sich – weil jede begrünte Fassade, jeder begrünte Quadratmeter nicht nur das Gebäude schützt, sondern aktiv zur Lösung der Folgen des Klimawandels beiträgt: funktional, ökologisch und wirtschaftlich. Wir müssen aktiv werden – und das vorhandene Potenzial nicht nur sehen, sondern nutzen!

 

CONBAU Nord 2026